Es ist bemerkenswert, dass Western Horse dem Thema Jugend und Nachwuchs seine letzte Ausgabe gewidmet hat; Derartiges kommt in unserer Branche nur selten vor. Die Themenschwerpunkte liegen ja in aller Regel auf esoterischen, technischen oder sachbezogenen Gebieten, und man gewinnt den Eindruck, dass es weit wichtiger ist, heute zu wissen, wie man perfekt bandagiert oder welches Gebiss wie wirkt, als ob wir morgen noch Reiternachwuchs haben werden. Hierüber sollte in allen Fachredaktionen mal etwas schärfer nachgedacht werden. Insofern hat WH einen deutlichen Akzent gesetzt, vor allem in der breiten und kritischen Themenbehandlung im Heft 07/2016.
Darüber hinaus sind Jugendarbeit und Reiternachwuchs genauso diffizile und unangenehme Themen wie Kindererziehung und Schulreformen. Unsere Generation der „Golden Oldies“ hat verlernt, an das Morgen zu denken und dafür verantwortungsvolle Konzepte zu entwickeln, sondern genießt lieber heute den noch vorhandenen – scheinbaren – Überfluss. Alle Verbände (Sport, Zucht usw.) leiden darunter, dass ihre Funktionäre in der Regel gutsituierte und daher auch saturierte Sportler oder Ex-Sportler sind, denen kritisches Querdenken (das berühmte) eher unbehaglich ist. Man bleibt gerne in bekannten Bahnen, hebt den herkömmlichen Sport aufs Podest und verhindert allzu zukunftskritische oder gar visionäre Stimmen mit dem Hinweis darauf, dass es entweder nie besser war als heute oder nie mehr so gut werden kann wie gestern.
Jugendarbeit und Nachwuchsprobleme sind aber komplexe Gebiete, die neben dem sportlichen Alltagskram eine kritische Auseinandersetzung mit Politik, Wirtschaft, Philosophie, Statistik, Trendforschung und vielem mehr erfordern. Allesamt Dinge, die im Denkmuster und Themenkatalog des „gemeinen Pferdesport-Funktionärs“ nur selten oberste Priorität haben dürften. Wir Oldies sind viel zu sehr in konventionellen Denkmustern verhaftet, verabscheuen Erneuerung und Veränderung viel zu sehr, als dass wir die positive Entwicklung des Pferdesports (gilt für alle Sparten) sichern könnten. Schlimmer, die Mehrheit der Verbandsorgane erkennt das Problem nicht einmal, weder in seiner Art oder Dringlichkeit, noch in seinem Ausmaß.
Pferde sind keine Notwendigkeit mehr – früher musste ein gewisser Prozentsatz der (männlichen) Bevölkerung berufsbedingt mit Pferden arbeiten (Armee, Transportwesen, Zucht und Ausbildung, Sport und Jagdwesen etc.). Aus dieser Gruppe rekrutierten sich zwingend die Talente, die sportlichen Ehrgeiz besaßen und letztlich zu Vorbildern wurden. Wer glaubt, diese Automatik würde noch funktionieren, hat nichts verstanden. Die Kinder selbst erfolgreicher Turnier-Cracks verspüren keinerlei innere Verpflichtung, es ihren Eltern gleichzutun. Unser Sport muss am freien Markt gegen eine Unzahl attraktiver Konkurrenten antreten, die z. T. weniger anstrengend sind, schnellere Erfolge zeitigen oder mehr Prestige besitzen. Um unsere Jugend „in den Sattel zu hieven“ braucht es mehr als ein paar Young Riders‘ Cups oder Preisrätsel in einem Magazin, ein Kostümreiten im Karneval oder ein sommerliches Reiterlager. Solche Attraktionen zogen in der Jugendzeit der heutigen Funktionäre – und haben nichts mehr mit der heutigen Realität zu tun.
Neben veralteten Standardprogrammen der Verbände gibt es private Ansätze einer zeitgemäßen Problembearbeitung; diese werden aber meist so erfolgreich verhindert oder so gezielt ignoriert, dass sie Einzelerscheinungen ohne Breitenwirkung bleiben müssen. Werden sie überhaupt wahrgenommen, so steckt man sie schnell in die Schublade „ambitionierte Privatinitiative“ (d. h. „sinnloser Schwachsinn profilierungsneurotischer Nicht-Funktionäre und erfolgloser Amateure“) und lässt sie dort elegant verhungern. Die Verbände selbst haben zwar in der Regel kaum Sinnvolles vorzuweisen, bleiben aber auf diese Weise unschuldig, denn „man hat es ja schon immer gewusst und wollte keine Ressourcen für etwas vergeuden, das doch nie funktioniert hätte.“
Jugend und Pferde sind ein weites Feld – dessen Bearbeitung man noch immer weitgehend jenen Personen überlassen muss, die ein bis zwei Generationen vom Problem entfernt sind. Dass deren Sicht der Dinge und Einschätzung der Lage zwangsläufig etwas getrübt sind, ist längst klar. Noch mehr Jugend-Referate und Kiddys‘ Corners brauchen unsere Kinder und Enkel nicht; sie fordern uns heraus, endlich die Realität zu sehen. Sie verstehen unseren hippologischen Wertekanon nicht mehr; wenn wir wollen, dass sie das weiterhin tun und können, dann liegt es an uns, ihn besser zu erklären. Wenn er aber obsolet sein sollte – wovon beinahe auszugehen ist – dann sollten wir einen neuen, besseren in der Schublade haben und ihn schleunigst und zeitgemäß präsentieren. Geduld ist nämlich bei den Kids eine seltene Kategorie geworden; Surfen, Golf und Skaten, Trick-Skifahren, Paintball Shooting und Mountainbiken, Paragleiten und Computerspiele etc. warten auch nicht wirklich darauf, bis wir alten Pferde-Freaks endlich in die Gänge kommen. Sie haben uns längst überholt. Wird Zeit, mit der Aufholjagd zu beginnen… Nochmal: Hoffentlich wird das letzte „WH Special Kids“ zu einer längst fälligen Initialzündung!
Martin Haller, St. Stefan, Österreich
Foto: Steffi Mertz