Sehr geehrter Herr Oelke,
in der Aprilausgabe der Zeitschrift „Cavallo“ gibt es den Bericht „Morgan Horses im Rassetest“. Dieser Beitrag beginnt einleitend mit der Feststellung: „Sie sind die Ahnen aller amerikanischen Pferderassen“! Nun meine Frage an Sie als anerkannten Kenner der amerikanischen Pferderassen – und dies sind ja wohl in erster Linie Quarter, Paint und Appaloosa Horses -: Kann man diese für mich irreführende Aussage so stehen lassen? Ich meine: Nein! Nach allem, was ich bisher über die Geschichte der amerikanischen Pferde gelesen habe, davon viel von Ihnen selbst, ist diese Feststellung so einfach nicht richtig.
Über eine Antwort würde ich mich freuen.
Mit herzlichen Western-Grüßen
Josef Angele
Bildunterschrift: Morgan-Horse von heute – mehr an ein Saddlebred erinnernd, hochbeinig, schmal, auch mit den hochgezüchteten Hufen und in der komischen Streckstellung, welche die Amerikaner bei Arabern sowie „Park Horses“ wie Saddlebreds und Tennessee Walkers gut finden
Antwort:
Wir hatten in der Ausgabe 3/2012 einen Artilel über die Geschichte des amerikanischen Sattelpferdes, der in diesem Zusammenhang interessant sein dürfte.
In meinem Buch „Das Quarter Horse“ (Kierdorf Verlag, 1987) hatte ich geschrieben: „Es gibt auch Leute, die argumentieren, Morgans hätten Wesentliches zur Rasse Quarter Horse beigetragen. Dafür gibt es in der Tat konkrete Hinweise. Ebenso schlüssige Anhaltspunkte gibt es aber andererseits dafür, dass Justin Morgan, der Begründer der Morgan Rasse, selbst nichts anderes als ein Quarter Horse war.“
Damit hatte ich andeuten wollen, dass es zu jener Zeit in Nordamerika noch keine Rassen im heutigen Sinn gab. Es hab einen Pool von meist ähnlich genutzten Pferden ähnlicher Abstammung, aus denen die späteren Spezialzuchten/Rassen entwickelt wurden.
Dabei muss man berücksichtigen, dass Rassen wie das Quarter Horse und das Morgan Horse im Osten entstanden, in Neuengland und Virginia, dass also beider Ursprung in etwa im selben Gebiet lag. Jene Pferde, die als Quarter Mile Horses bekannt geworden waren, breiteten sich später nach Westen aus, aber auch von Morgen Horses wissen wir, dass sie den Weg nach Westen gefunden haben. Als Morgans bekannte Pferde fanden hingegen wohl mehr den Weg nach Norden, nach Canada hinein.
Die Abstammung von Justin Morgan, dem Begründer der Morgan Rasse, so genannt nach seinem Züchter/Besitzer, ist unbekannt – es bestehen nur Vermutungen, die man für wahr halten kann oder nicht. Einigkeit scheint zu bestehen über sein Geburtsjahr, nämlich 1789.
Bemerkenswert ist, dass zwei Morgan Horse Historians, Charles und Sharon Selman, in einem Artikel im Western Horseman Messenger, Justin Morgan und Sir Archy als die drei wichtigsten Vererber der amerikanischen Reitpferde erwähnten. Den 1752 aus England importierte Janus erwähnten sie nicht, den die Quarter Horse-Leute als den überragenden Vererber seiner Zeit feierten und der dem Quarter Mile Horse seinen Stempel aufdrückte und es quasi im Alleingang zu einer Rasse formte, auch wenn sie noch nicht im heutigen Sinn formell etabliert war.
Nun ist es interessant, dass Justin Morgan vom Typ her genau so beschrieben wurde wie Janus bzw. wie dessen Nachkommen! Darum ist es keineswegs eine gewagte Spekulation, wenn man annimmt, dass auch Justin Morgan (ursprünglich „Figure“ genannt) zu den Nachkommen von Janus gehörte. Die andere Alternative wäre, in Justin Morgan eine ähnliche Mutation zu sehen wie sie Janus anscheinend darstellte. Dergleichen kommt äußerst selten vor, darum ist das mehr als unwahrscheinlich.
Festzuhalten ist jedenfalls, dass Janus und seine Nachkommen genau so beschrieben wurden wie Justin Morgan und dessen Nachkommen. Für mich ist klar, dass Justin Morgan direkt oder indirekt ein „Janus-Pferd“ gewesen sein muss und technisch darum nichts anderes als all die anderen Janus-Pferde, die gemeinhin als Quarter Mile Horses bezeichnet wurden. Von Justin Morgan ist auch überliefert, dass er Viertelmeilenrennen gelaufen ist und kaum zu schlagen war – so wie eben die Nachkommen von Janus auf dem Gebiet ihren Ruhm errangen.
Der Mann Justin Morgan war mit seinem Hengst – also vermutlich einem frühen Quarter Horse – nach Vermont gezogen, anscheinend eine Gegend, die bezüglich der Zucht von Quarter Mile Horses Diaspora war. Darum haben seine Nachkommen unter seinem Namen eine neue Linie, letztlich eine neue Rasse begonnen, eben die nach ihm benannten Morgan Horses. Aber Justin Morgan war ein Vetreter jener Pferdepopulation, aus der Rassen wie Quarter Horse, Morgan und andere hervorgingen, die aber nach heutigem Ermessen zum größten Teil aus Pferden bestand, die als Quarter Mile Racing Horses gezüchtet wurden.
Ein Morgan-Hengst von 1922 – zu der Zeit sahen viele Quarter Horse-Hengste nicht anders aus…
…während dieser nur wenige Jahrzehnte später lebende mehr an einen Araber erinnert als an sonst eine Rasse. Justin Morgan hingegen war ein kleiner, sehr kompakter und muskulöser Hengst, der nicht nur bei Kurzstreckenrennen gewann, sondern auch im schweren Zug gegen Kaltblüter! Dieser Morgan-Hengst stellt als Typ eher das Gegenteil seines berühmten Ahnen dar
Aus all dem sollte klar werden, dass es eine unhaltbare Behauptung ist, das Morgan Horses die Ahnen aller amerikanischen Rassen seien. Ahnen der amerikanischen Rassen waren die Mustangs und Indianerpferde sowie englische Ponies, vor allem der Galloway (wobei die Mustangs iberischer Abstammung waren) und später das Englische Vollblut. Die erste amerikanische Population, die als Rasse bezeichnet werden konnte und Ahnen-Charakter hatte, war der Narragansett Pacer.
Später wurden Morgans als Rasse in eine andere Richtung gezüchtet als Quarter Horses, obwohl nicht wenige Morgans auch heute noch unter „Mainstream Quarter Horses“ nicht auffallen würden.
Das heißt nicht, dass nicht später auch Pferde in den Grundstock der Quarter Horse Population gelangten, zu einem Zeitpunkt, als diese bereits als Morgan Horses galten bzw. identifiziert wurden. So wird von Morgan Horses berichtet, die nach Nebraska, Colorado, den Dakotas, Montana, Oregon, Washington, Utah und Californien gingen. Mit der erst späten Gründung der AQHA 1940 kann man ohne weiteres annehmen, dass einige so bezeichnete in die Quarter Horse-Zucht Eingang gefunden haben. Andererseits darf man ohne weiteres davon ausgehen, dass Pferde in der Morgan-Zucht Verwendung fanden, die im Grunde Quarter Horses waren.
Drei Morgan Horses der U.S. Morgan Horse Farm in Vermont, die sich der Erhaltung dieser Rasse angenommen hatte und irgendwie der Vorläufer der Morgan Horse Association war, auf der National Morgan Horse Show 1950. In der Art der Aufstellung zeigt sich schon die andere Ausrichtung der Zucht, obwohl die Pferde selbst bei genauer Betrachtung noch recht kompakt waren
Morgan Horses als formelle Rasse hatten einen früheren Start als Quarter Horses. 1909 wurde der Morgan Horse Club gegründet, später American Morgan Horse Association. Erst ab 1930 wurde über Reinzucht und die Schließung des Stutbuchs diskutiert, was dann 1948 geschah. Bis dahin können also auch offiziell unbegrenzt Quarter Horses in die Zucht eingeflossen sein. In puncto Stutbuch hat die Rasse Morgan Horse also keinen großen Zeitvorsprung gegenüber den Quarter Horses. — Hardy Oelke