Lieber Hardy,
diesen Leserbrief schreibe ich heute, weil ich (und einige meiner Bekannten) ziemlich entsetzt war(en) über den Artikel zur Rollkur im letzten Western Horse und ich mich darüber sehr geärgert habe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Du dahinter stehst, was darin steht.
Ich kann ehrlich gesagt gar nicht nachvollziehen, wie Du diesen Artikel unter Deinem Namen veröffentlichen konntest, wo gerade Du in den letzten Jahren versucht hast, durch den Wettbewerb „Germany’s Finest Rider“ und z. B. einen Artikel mit dem Titel „Wo wollen die Westernreiter hin“ (vor ein paar Jahren) die Westernreiterei vor allem auch in Bezug auf die Rollkur zu verbessern!
Den Artikel habe ich gelesen, gerade kurz nachdem ich von einem großen NRHA-Turnier nach Hause kam und mir daraufhin die Frage gestellt hatte „Wo soll das mit der Westernreiterei noch hinführen?“, und „Was wollen die Richter sehen?“ Ich war von diesem Turnier insofern ziemlich enttäuscht, weil ich festgestellt habe (und andere auch), dass es mit „pferdegerechtem Reiten“ leider zum größten Teil nicht mehr viel zu tun hat. Als ein Beispiel, unabhängig vom Reiten selbst, kann man die „totgespritzten“ Schweife anbringen. Im großen Finale hatten nur etwa 10 bis 20 Prozent der Pferde einen „normalen und funktionsfähigen“ Schweif, der Rest war „totgespritzt“ und hing entsprechend leblos herunter, was ja eigentlich laut Regelbuch nicht erlaubt ist!
Bei der Bewertung der Richter muss das von großer Bedeutung sein, dass sich der Schweif nicht bewegt, hingegen scheint es den Richtern ziemlich egal zu sein, dass Pferde sehr deutlich und viel das Maul aufreißen oder eben immer wieder in „Rollkur-Position“ laufen. Das Rückwärtsrichten heutzutage ist quasi fast nur noch mit einem extrem aufgerollten Pferd zu sehen, was allerdings keinen negativen Einfluss auf die Bewertung hat, sondern bejubelt und mit Plus bewertet wird. Ein „sich immer mal bewegender Schweif“ hingegen führt sofort dazu, dass ein Manöver nicht mehr positiv bewertet wird.
Wenn ich die Regelbücher verschiedener Verbände lese, klingt das alles super! Nur werden die Regeln leider nicht umgesetzt, oder eigentlich wird man als Reiter sogar bestraft, wenn man sein Pferd so reitet. So klingt z. B. auch die Beschreibung der Western Pleasure wirklich gut, aber das, was man in Prüfungen sieht, hat auch da nichts mit der Beschreibung in den Regelwerken zu tun – leider.
Was jetzt die Rollkur betrifft, gab es in der Vergangenheit ja wirklich genug Studien oder Versuchsreihen, die gezeigt haben, dass es nicht „tierschutzgerecht“ ist, ein Pferd (über einen längeren Zeitraum) so zu reiten.
Selbst wenn man die Studien beiseite lässt, braucht man nur in die Gesichter der so gerittenen Pferde schauen, um zu wissen, dass sie sich damit sicherlich nicht wohl fühlen. Man muss sich eigentlich nur vorstellen, wie sich das für einen selbst anfühlen würde, wenn man mit Gewalt durch irgendeine Vorrichtung dazu gezwungen würde, so rumzulaufen, dass das Kinn die ganze Zeit auf der Brust liegt!
Gerade wenn ein niederländischer Wissenschaftler behauptet, dass Rollkur nicht schädlich für ein Pferd ist, dann müssten ja eigentlich alle Alarmglocken läuten. Ausgerechtnet ein Niederländer! Wo dort „das Rollkur-Land“ ist mit z. B. Anky van Grunsven, Ed Gal und Sjef Janssen. Das ist ja wohl das Land, das die Rollkur „groß“ gemacht hat, und Totilas ist wohl das traurige bekannteste Beispiel dafür.
In einem Artikel der Zeitung „Dressur Studien“, der wirklich gut ist und der entsprechend auch verschiedene Studien mit einbezieht, wird erwähnt, was sicher in vielen Fällen von mit Rollkur trainierten Pferden eine große Rolle spielt: der Effekt der „learned helplessness“. Das heißt, dass ein Lebewesen irgendwann resigniert und sich nicht mehr wehrt, sondern sein Elend so hinnimmt, ohne sich noch irgendwie zu wehren. In diesen Zustand werden sicherlich viele Sportpferde heutzutage gebracht.
Studien sind das eine, aber letzlich sollte man als Reiter doch eigentlich Pferde mögen. Und wenn man Pferde mag und sie nicht nur als Sportgeräte sieht, sollte man so viel Gefühl haben, dass man weiß, dass so eine Position – und vor allem, wie sie erreicht wird – nicht zum Wohl eines Pferdes sein kann.
Für mich ist klar, dass die Rollkur ein Pferd schädigt, wenn sie immer wieder und über lange Zeit angewendet wird. Selbst wenn es vielleicht keine nachweisbaren körperlichen Schäden davon trägt, so wird es auf jeden Fall psychische Schäden bekommen. Allerdings ist ja auch erwiesen, dass körperliche Schäden, wie z. B. Nackenband-Überdehnung (infolge davon evtl. auch Rückenband-Probleme), Genickbeule oder Überlastung der Vorhand durch „Rollkurreiten“ entstehen.
Ich hoffe sehr, dass das WESTERN HORSE diesen Artikel irgendwie „wieder gut macht“!
Susanne Schnell, Freystadt-Rohr
Antwort:
Dass dieser Artikel empörte Reaktionen auslösen würde, war zu erwarten. Dass es Susanne Schnell ist, die sich im Interesse des Pferdes zu Wort meldet, freut mich sehr, ist sie doch mehrfache Siegerin des Germany’s Finest Rider Events.
Nun sollte man aber unterscheiden, was nachweisbare physische Schäden sind (die immer wieder ohne stichhaltige Nachweise angeführt werden), und was man als Reiter und Pferdeliebhaber ablehnt. Wenn ich etwas ablehne, will ich das aus stichhaltigen Gründen tun, nicht aufgrund von Behauptungen und Studien, die zweifelhaft sind, und davon hat es leider so einige gegeben. Das ist es im Grunde, was Prof. van Weeren sagt: dass es keine wissenschaftlich stichhaltigen Beweise für eine physische Schädigung durch die Rollkur gibt. Und das war es mir wert, veröffentlicht zu werden.
Ich würde auch nicht alle Holländer über einen Kamm scheren. Vermutlich würde sich Prof. van Weeren dagegen wehren, als Gesinnungsgenosse von Janssen, Gal und van Grunsven hingestellt zu werden.
Du sagst, dass es erwiesen sei, dass die Rollkur Genickbeule oder Überlastung der Vorhand verursache – das wären physische Schäden; aber genau das wird angefochten, dass derartige Studienergebnisse wissenschaftlich haltbar waren.
Dass ich mit dem Artikel nicht der Rollkur das Wort reden wollte, muss m. E. jeder aufmerksame Leser leicht erkennen. Ich habe sie u. a. als „etwas so abstoßend Aussehendes“ bezeichnet. Und gerade die Argumentation, dass man sich eigentlich nur vorstellen brauche, wie sich das für einen selbst anfühlen würde, wenn man mit Gewalt durch irgendeine Vorrichtung dazu gezwungen würde, so rumzulaufen, dass das Kinn die ganze Zeit auf der Brust liegt“, habe ich ja fast wörtlich in diesem Artikel angeführt. Da hieß es:
„Aus reiterlichen Gesichtspunkten ist es allemal abzulehnen, ein Pferd in der Rollkur zu reiten, einfach weil es dadurch frontlastig wird, weil seine Balance gestört ist … Allerdings: Wenn man selber mal den Kopf auf die Brust fallen lässt, merkt man, wie unbequem das ist und wie wenig gern wir uns in diese Haltung zwingen lassen würden und wie ungern wir in dieser Haltung herumlaufen würden…“
Das Phänomen „Learned Helplessness“ habe ich auch schon im WESTERN HORSE geschildert und ihm in meinem Buch „Westernreiten klassisch gut“ ein eigenes Kapitel gewidment und erklärt, dass sich meiner Meinung nach viele Turnierpferde – gerade auch Westernturnierpferde – in einem solchen Stadium befinden.
Aus meiner Sicht krankt das Westernreiten schon seit längerem daran, dass es als erstrebenswert angesehen wird, Pferde aufgerollt bzw. mit zu tiefer Nase zu reiten. Es ist absurd, wie man überall Reiter sieht, die ihre Pferde runterriegeln, die sie möglichst so traktieren, dass sie nicht mehr wagen, den Kopf zu heben. Das ist schlecht, ob mit oder ohne Rollkur.
Und um jeden Zweifel auszuschließen: Ich lehne die Rollkur ab, ich verurteile sie, aber nicht, weil mich irgendeine Studie von ihrer physischen Schädlichkeit überzeugt hätte. Dass sie den Pferden psychisch schadet, dazu reichen meine eigenen Studien aus – der auch hier angeführte Blick in ihre Gesichter, in ihre Augen…
Nachstehend dazu noch ein Leserbrief in „Dressur Studien“ von Christian Behrens, den mir ebenfalls Susanne Schnell zugeschickt hat.
— Hardy Oelke
Da ein Pferd die Auswirkungen des pferdeverachtenden Reitens nicht sofort und unmittelbar mitteilen kann (etwa durch Schreien oder Hinwerfen), bleiben dem Menschen nur wissenschaftliche Langzeittests und Gutachten, um dessen Schädlichkeit nachzuweisen – und leider gibt es zu jedem Gutachten mindestens ein Gegengutachten.
Die Fokussierung auf Beweisbarkeiten durch die „unbestechliche“ Naturwissenschaft hat ohne Zweifel in der Pferdewelt viel bewegt. Dabei besteht allerdings auch die Gefahr, das komplexe Lebewesen Pferd nur noch „technisiert“ zu betrachten.
Ich plädiere daher für einen Paradigmenwechsel in dieser Diskussion.
Die verantwortungsvollen Reiter/innen sollten dem moralisch-ethischen Gefühl wieder einen höheren Stellenwert einräumen. Wenn auch nicht mathematisch messbar oder eindeutig beweisbar, müsste eigentlich jedem Menschen – und Reiter – dieses Korrektiv von richtig und falsch innewohnen. Was damit gemeint ist, brachte Nuno Oliveira auf den Punkt: Der fühlende Reiter sollte sich nach dem Reiten in den Blick seines Pferdes vertiefen und eine Gewissensprüfung vornehmen.
Um die Unbestechlichkeit des Gefühls zu verdeutlichen, möchte ich ein kurzes Beispiel anführen: Im Rahmen meines ersten Staatsexamens habe ich dem Prüfungsausschuss eine kurze Video-Sequenz einer Grand Prix-Dressurreiterin vorgespielt. In diesem Video sieht man die Reiterin auf dem Abreiteplatz, wie sie den Kopf des Pferdes in allen Gangarten mit erheblichem Krafteinsatz „einrollt“. Auf meine Frage an die Prüfer/innen (allesamt Nichtreiter), wie diese Bilder auf sie wirken würden, waren die Reaktionen Betroffenheit und Unverständnis. „Es wirkt auf mich so, als ob das Pferd systematisch erniedrigt wird“, sagte eine Professorin.
Die Frage der beweisbaren körperlichen Schädigung des Pferdes war nebensächlich, alleine die Betrachtung der Bilder ließ bei diesen Laien schon den Zweifel an der Richtigkeit dieses Reitens aufkommen.
Zur Zeit scheint es so, dass die Verantwortung für das Reiten auf „Reitexperten und ihre Systeme“ verlagert wird, um dessen Richtigkeit wissenschaftlich untermauern zu lassen.
Reiter/innen sollten sich aber nicht davon abhalten lassen, Reitsysteme kritisch zu hinterfragen und Entscheidungen zum Wohle des Pferdes zu treffen.
Empathie und Fühlen-Können sind beim Umgang mit dem Lebewesen Pferd die wichtigsten Kriterien. Meiner Meinung nach besitzt jeder Mensch diese Fähigkeiten, sie werden aber all zu oft aus erfolgsorientierter „Betriebsblindheit“ in den Hintergrund gerückt.
Christian Behrens, Jardelund